Stuttgarter Zeitung vom 19.11.2004

Ein Schwalbennest im Zweiertakt

von Thomas Schwarz

Peter Strauchs Leben ist eine deutsch-deutsche Geschichte zwischen Suhl in Thüringen, Kornwestheim und Bad Cannstatt

Simson ist sein Leben: Peter Strauch hat als Sohn des früheren Sportbeauftragten im Werk der DDR-Mopedmarke im thüringischen Suhl gewohnt, mehr als 30 Jahre hat er für Simson gearbeitet. Heute lebt der 58-Jährige in Stuttgart und restauriert im Römerkastell Simson-Mopeds.

Sagt ihnen der Name Steve McQueen etwas? Peter Strauch blättert in einem Bildband über Simson und AWO-Motorräder und hat dabei eine Seite über die legendären Sechstage-Motorradrennen in den 60-er Jahren aufgeschlagen. Und tatsächlich, da steht er, der amerikanische Kinostar und begeisterte Rennfahrer, der in der DDR an
Motorradrennen teilgenommen hat. Ob er denn mit McQueen gesprochen habe, der durch John Sturges´ Film "Gesprengte Ketten" die Motorradfahrerikone der 60-er Jahre wurde? "Ja
klar, das war ein ganz freundlicher Mensch", sagt Peter Strauch, dessen Vater Werner zu jener Zeit der Sportbeauftragte bei Ifa Simson im südthüringischen Suhl gewesen ist und den
Sohn zu den Rennen mitgenommen hat. 40 Jahre lang hat Werner Strauch für die Motorrad- und Mopedschmiede gearbeitet, sein Sohn hat es ihm nachgemacht: Peter Strauch hat für Simson gearbeitet, bis die Firma im Jahr 2000 endgültig aufgeben musste. Geblieben sind jedoch tausende von Rollern und Mopeds der Modelle Spatz, Star, Schwalbe, Sperber oder Habicht, denen die Leidenschaft des Ingenieurs bis heute gilt. Im Römerkastell in Bad Cannstatt hat Strauch eine kleine Werkstatt eröffnet, in der Simson-Freunde Rat und Tat, Ersatzteile oder komplett restaurierte Mopeds finden.

In den alten Bundesländern ist die Simson-Begeisterung mittlerweile groß. "Zu mir kommen Lehrlinge, aber auch Ingenieure im Porsche, die in der Freizeit eine Schwalbe restaurieren", erzählt Strauch. Nach und nach haben die Technikveteranen aus Südthüringen im Schwabenland ihre Anhänger gefunden. Zuvor war das nicht möglich, weil die Mopeds und Roller mit den ungewohnt hohen Rädern nicht nach Westdeutschland exportiert wurden. Nur der "Spatz" war eine Zeit lang bei Neckermann erhältlich, konnte sich jedoch gegen die westdeutsche Konkurrenz nicht durchsetzen, wie Strauch berichtet. Mit der größte Gegner auf dem Markt kam aus Kornwestheim: Kreidler, die legendäre Marke, deren Modell Florett Ende der 70-er Jahre der Traum vieler Teenager in Deutschland war.

Auch in Suhl beobachtete man ganz genau, was im Landkreis Ludwigsburg gebaut wurde. "Da wurden immer mal Maschinen gekauft, um sie genau unter die Lupe nehmen zu können." Und
wenn diese nicht mehr gebraucht wurden, konnten Simson-Mitarbeiter sie günstig kaufen. Aus diesem Grund fuhr Peter Strauch als junger Spund eine Kreidler, sein Vater hatte sie besorgt. "Da war ich der King."

So versessen wie Jugendliche auf die Kreidler Florett in den 70-er Jahren waren, sind nun die Simson-Anhänger West auf die "Schwalbe", den Motorroller unter den Simson-Vögeln.
Diese Entwicklung habe leider mit ziemlicher Verzögerung begonnen, denn der Grund für den Niedergang der Firma war schlicht die fehlende Nachfrage. "In Ostdeutschland wollten nach
der Wende alle etwas aus dem Westen", erklärt Strauch. Und im Westen war der Name der Maschinchen mit dem ungewöhnlichen Design zu wenig bekannt. Die Motorradmarke MZ, die
"Sachsen-Harley", kannte man auch hierzulande, weil sie über einen großen Motorradzubehörhändler erhältlich war - mit Seitenwagen, was spätestens seit den 70-er Jahren außergewöhnlicher war.

Die Marke Simson wurde im Westen nach der Wende erst nach und nach bekannt, durch Leute aus den neuen Bundesländern, die in die Region zogen und ihre Mopeds mitbrachte - sofern sie diese nicht bereits verschrottet hatten. Anders als in der DDR fahren hierzulande vor allem Männer auf der Schwalbe ab. "In der DDR war die Schwalbe als 'Nonnenhocker' bekannt", erklärt Peter Strauch. Dort fuhren vor allem Frauen Schwalbe, Männer waren mehr auf Sperber und Habicht fixiert, die eben mehr nach Motorrad wirkten.

Nach dem Kriegsende waren in den Simson-Werken auch schwerere Maschinen produziert worden. Unter dem russischen Namen "Awtowelo" wurde von 1950 an die AWO 425 hergestellt mit einem Viertaktmotor und 250 Kubikzentimeter Hubraum. In der Strauchschen Werkstatt im Römerkastell kann man auch mehrere der schweren Maschinen sehen. Eine davon hat Strauch bereits als jungem Mann gehört. Mit ihr verbindet ihn eine außergewöhnliche Geschichte.



"Von diesem Modell gab es nur zwölf Exemplare. Das waren Eskorte-Motorräder von Walter Ulbricht", berichtet Strauch. Ebenfalls durch seinen Vater sei er als Student in den Besitz des
250-Kubik-Motorrads gekommen, nachdem dieses ausgemustert worden war. Die zwölf Maschinen unterschieden sich in Details von den anderen Maschinen dieses Typs, unter anderem
durch einen markanten Metallbügel am Vorderrad. Wie in Westdeutschland verdrängte auch in der DDR das Auto die Zweiräder und selbst ein Mopedenthusiast wie Peter Strauch verlangte
es danach. "Mein Vater hat das Motorrad wieder zu sich genommen und es einige Jahre später verkauft. Das hat mir schon ein bisschen weh getan, aber was sollte ich machen?" Nach
der Wende kam dann die Überraschung: In einem Magazin für Motorradsammler fand Strauch eine Anzeige, in der eine AWO angeboten wurde - mit Foto. "Das war unverkennbar mein
Motorrad." Unverzüglich habe er sich mit den Inserenten in Ravensburg in Verbindung gesetzt und die Maschine zurückgekauft.

Heute steht sie unter den Simson-Mopeds in seiner Werkstatt, die ein bisschen wie ein Museum wirkt. Mittendrin fällt ein grüner Chopper mit Pforzheimer Kennzeichen auf. Eine Harley war das nicht, dazu ist der Eigenbau zu schlank, fast zierlich. "Das war eine AWO", klärt Strauch die ratlosen Besucher auf und zeigt auf das Schildchen am Motor, den er für den Besitzer richtig eingestellt hat. "Ansonsten ist das ein richtiger Chopper. Der macht sogar blubb-blubb."