Tagebucheintrag vom 26.02.2006
 
Exkurs: Äthiopien - von Claudia
 
Äthiopien
Äthiopien war unser letztes Reiseland und das Land das wir am intensivsten erkunden konnten, da wir mehr Zeit hatten und sich dadurch mehr persönliche Kontakte ergeben haben, die für das Kennen lernen eines Landes unerlässlich sind. Begonnen hat mein Kontakt zu Äthiopien mit einer Patenschaft für eine Schülerin der German Church School in Addis Abeba schon vor 3 Jahren. Doch jetzt bereisten wir dieses grandiose Land.
Aber zuerst hatte ich mit den Schwierigkeiten der Piste zu kämpfen. Die Piste vom Sudan nach Äthiopien ist für ein kleines Zweirad nicht gerade ideal. Mit der Piste, bestehend aus hartem Untergrund und einer losen Kieselsteinedecke, kam ich nicht so richtig zu recht. Dazu noch der Staub und Sand, der uns jedes Mal total einnebelte, wenn ein LKW oder ein Bus uns auf der Piste entgegen kam. Trotzdem hatten wir noch Zeit die tolle Landschaft und die netten Menschen zu bemerken. Kommt man aus dem Sudan so erklimmt man die Berge des äthiopischen Hochlandes, kommt man mit einem 50erle daher, so erklimmt man diese Berge gemächlich und bekommt so einen guten Eindruck ihrer Erhabenheit. Langsam quälten sich unsere Mopeds die Steigungen hinauf, dank der geringen Geschwindigkeit ist die atemberaubende Aussicht auf die Täler, die Felder, die Dörfer zu genießen. Die Landschaft ist wirklich toll.
Doch was ist mit den Menschen? Im Vorfeld habe ich viel über Äthiopien gelesen. Viele dieser Berichte waren nicht positiv. Es wurde von aufdringlichen Menschentrauben, Horden von schreienden und hinter einem her rennenden oder gar Steine schmeißenden Kindern und Angriffen mit Stöcken berichtet. Ein bisschen bange war mir schon, da ich nicht wusste wie ich damit umgehe, wenn mehrere dutzend Kinder um mich rum stehen und alle etwas von mir wollen. Um es gleich zu sagen: Wir hatten mit den Menschen sehr viel Glück und müssen das Äthiopienbild der Reiseführer etwas korrigieren. Die Leute waren ausgesprochen freundlich, die Kinder erträglich und die Anzahl überschaubar, wir haben keinen Stein abbekommen, wurden nie bedroht und haben uns nie unwohl gefühlt. Die Menschen haben positiv auf unser Erscheinen, auch auf dem Moped reagiert. Oft waren wir und unsere Mopeds Gegenstand der allgemeinen Erheiterung. Junge Burschen zeigten den „Super"-Daumen, Scharen jungendlicher Mädchen bekamen einen Lachanfall... Wir können diese positive Reaktion nicht nur auf den „Niedlichkeitsfaktor" der Schwalben zurückführen, aber beigetragen hat dies schon. Auch dass wir keinen Vollvisierhelm trugen hat zur Entspannung beigetragen. Wir waren eben keine Furcht erregenden Ritter auf schweren Maschinen, sondern eher ein Sancho Pansa. Und wir hatten immer Blickkontakt mit den Leuten. Das hat dazu geführt, dass ich fast heiser wurde vom vielen „Good morning" sagen und einen steifen Hals bekam vom vielen Nicken und Grüßen. Vielleicht hat zur Entspannung auch die gute Ernte beigetragen. Im Hochland waren die Bauern damit beschäftigt Teff zu ernten, das äthiopische Getreide aus dem das Nationalgericht Injera hergestellt wird. Und die Ernte war in diesem Jahr sehr gut. Überall wurde geschnitten, gedroschen (meist mit Ochsen oder von Hand), die Esel bogen sich unter der Last der Säcke... Wer genug zu Essen erntet, ist freundlich und „gut drauf".
Obwohl die Menschen gerade genug Anlass haben „schlecht drauf" zu sein. Die innenpolitische Lage hat sich in den letzten Jahren zugespitzt. Bereits im Jahre 2000 gab es nach der Wahl Ausschreitungen, Verhaftungen und Inhaftierungen. Im Jahr 2005 waren wieder Wahlen angesetzt. Bereits im Frühjahr kam es zu Ausschreitungen. Die polizeiliche Wilkür wurde immer stärker. Die Bundespolizei, zur Schlägertruppe degradiert, wird in Schulen und Hochschulen geschickt und prügelt dort auf die Schüler ein oder schießt wild um sich. In Äthiopien gibt es viele Sprachen. Die Polizisten werden jeweils in anderssprachige Regionen geschickt, damit sie sich mit der Bevölkerung nicht unterhalten und gar verbünden können.
Hat die Regierung bei der Machtübernahme vor 15 Jahren noch sehr innovativ und liberal begonnen, so steht heute deren ganzes Streben im Zeichen des Machterhalts. Die Menschen sind unzufrieden und äußern dies auch. Schüler der höheren Klassen und Studenten, durch ihre Bildung zur eigenständigen Denken angeregt, erkennen die Fehler der Regierung. Aber eine demokratische Opposition ist derzeit nicht möglich. Oppositionelle, aber auch gänzlich unpolitische junge Menschen werden in Gefangenenlager inhaftiert, ohne Anklage, ohne ärztliche Versorgung, mit einer minimalen Versorgung an Essen und Trinken. Durch die aggressive Politik der Regierung heizt diese den, auch bewaffneten, Widerstand  erst recht an. Ein Teufelskreislauf beginnt.
Äthiopien ist kein homogenes Land, es besteht sowohl geographisch als auch ethnologisch aus sehr vielen, sehr verschienen Regionen. Viele Völker, viele Sprachen, viele Kulturen. Bestreben der Regierung muss es sein, dass alle Völker des Landes sich in der Regierung vertreten fühlen. Doch auch davon ist die Regierung weit entfernt.
Äthiopien hat mit vielen Problemen zu kämpfen, dazu zählt das immense Bevölkerungswachstum. Die Hälfte der Bevölkerung ist unter 15 Jahren. Diese jungen Menschen brauchen eine Schulausbildung, einen Beruf, eine Wohnung...
Ein weiteres Problem sind die immer wiederkehrenden Hungersnöte. Doch da frage ich mich, warum die Regierung nicht im Stande ist die vorhandenen Lebensmittel gleichmäßiger zu verteilen. Wenn gleichzeitig Millionen für einen unsinnigen Grenzkonflikt mit Eritrea ausgegeben werden und die Militärlastwagen dazu dienen die Bundespolizei für „Schlägereinsätze" von einem Landesteil in den anderen zu bringen.
Die Armut im Land ist groß. Äthiopien zählt zu den ärmsten Ländern der Welt. Gleichzeitig fließt viel ausländisches Geld in das Land. Doch nicht immer dahin wo es eigentlich sollte und nicht immer sind die Projekte durchdacht und nachhaltig. Oft fehlt auch der Ansatz „Hilfe zur Selbsthilfe" und manche Hilfeleistungen verstärken nur die Abhängigkeit der Bevölkerung von ausländischem Geld.
Für uns ein sehr einprägsames und nicht immer ungefährliches Erlebnis war der
Verkehr. Die Strassen, mit Unterstützung der chinesischen und japanischen Regierung oder durch Gelder der EU ausgebaut, sind wichtig für die Entwicklung des Landes und um Lebensmittel zu transportieren. Aber viele Fahrer (eigentlich fast alle) fahren zu schnell und zu schlecht, die Fahrzeuge sind oft neu und schnell. Wir haben auf allen Strassen „LKW- und Busleichen" gesehen, ausgebrannte Fahrzeugskelette, eingedrückte Führerhäuser... Neben den Fahrzeugen sind viele Menschen, Esel, Ziegen, Rinder auf der Fahrbahn. Alle ebenso unberechenbar wie die Izusu-KleinLKW-Fahrer, die „Al-Quida" genannt werden, eine rollende, in diesem Falle oft rasende Gefahr. Dazwischen wir mit unseren Schwalben.
Und trotzdem, Äthiopien ist ein faszinierendes Land. Im Hochland ist die uralte Kultur überall zu spüren - auch wenn sich dies jetzt nach einem Reiseführertext anhört. Die wunderschönen Menschen strahlen trotz Armut eine mir bis dahin unbekannte Würde aus. Frauen im Hochland in weiße Kleidung und in weiße Tücher gehüllt, mit einem Sonnenschirm die Straße entlang laufend - dieses Bild hat sich mir eingebrannt und symbolisiert für mich Äthiopien. Obwohl ich weiß, dass ich damit Äthiopien nur auf einen Teil beschränke und die ganzen anderen Kulturen außen vor lasse.

 
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