Vogelzug

Im Herbst - wenn sich das Jahr seinem Ende zuneigt und der Winter vor der Tür steht - kann man oft riesige Vogelschwärme am Himmel sehen. Viele Vögel würden bei uns im Winter keine Nahrung finden und verhungern. Darum ziehen sie im Herbst in wärmere Länder. Diese Vögel heißen Zugvögel, zu ihnen gehören u.a. Störche, Stare, Schwalben und Kraniche. Mit der Rückkehr der Zugvögel verbinden wir den Beginn der warmen, schönen Jahreszeit und erkennen darin u.U. unsere eigene Lust am weiten Reisen und unser Fernweh. Darum wurden Zugvögel schon früh zu Boten des Frühjahrs, und durch ihre regelmäßige Rückkehr zu Symbolen der Treue und Verlässlichkeit.
Das jahreszeitlich rhythmische Wandern von Vögeln zwischen Brutplätzen und Winterquartieren, das nur in unseren Breiten eine ernährungsbiologische Bedeutung für die Vögel hat (Ausweichzug), wird weltweit mit Markierungsmethoden (Vogelberingung) untersucht.

Die herkömmliche Einteilung der Vögel in Zug-, Strich- und Standvögel verwischt sich häufig. Angehörige der gleichen Population und sogar Nestgeschwister (z. B. bei Buchfink, Kohlmeise) können unterschiedliches Zugverhalten zeigen. Zugvögel treten bei uns als Brutvögel auf, die im Herbst nach Süden ziehen (rund 45% der in Deutschland brütenden Vogelarten sind echte Zugvögel, z. B. Fliegenschnäpper, Laub- und Rohrsänger, Grasmücken, Schwalben), oder als nicht bei uns brütende Durchzügler (z. B. Rotkehlpieper) oder Wintergäste (z. B. Seidenschwanz, Schnee-, Spornammer). Vögel, bei denen regelmäßig nur ein Teil einer Art das Brutgebiet verlässt, bezeichnet man als Teilzieher (z. B. Star, Hänfling, Girlitz, Bachstelze, Rotkehlchen, Hausrotschwanz). Solche Vögel nennt man auch, je nachdem, ob die Art an sich (nicht alle einzelnen Individuen) ganzjährig oder nur im Sommer oder nur im Winter bei uns zu finden ist, Jahresvögel (z. B. Mäusebussard), Sommervögel (z. B. Wespenbussard) oder Wintervögel (z. B. Raufußbussard). Nicht am Vogelzug beteiligt sind die Standvögel, die sich das ganze Jahr hindurch im Brutgebiet aufhalten (z. B. Spechte, Baumläufer, Kleiber, Sumpfmeise, Grauammer, Rebhuhn), und die Strichvögel, die außerhalb der Brutzeit umherstreichen, aber innerhalb eines bestimmten (weiteren) Gebiets bleiben (z. B. Bluthänfling, Stieglitz, Grünling, Goldammer).

Untersuchungs-Methoden
Lange Zeit war unklar, wo Vögel die kalte Jahreszeit verbringen. So setzte Aristoteles das Märchen vom Winterschlaf der Vögel in die Welt. Und Carl von Linné, der Begründer der systematischen Biologie, vertrat die Ansicht, Schwalben versänken im Herbst in Sümpfen und kämen im Frühjahr als Amphibien wieder hervor. Erst seit dem 19. Jahrhundert wird der Vogelzug intensiv erforscht. Um 1890 begann der Däne Hans Christian Mortensen damit, Stare und andere Vögel mit Metallringen am Bein zu kennzeichnen.
Alles, was man über Vogelzüge und auch andere Tierwanderungen weiß, hat man auf folgendem Weg erfahren: Man hat eine bestimmte Menge von Tieren eingefangen, sie mit einem Metall- oder Plastikband beringt und dann wieder freigelassen. Um die Wege und Ziele der Vögel in einer Karte eintragen zu können, müssen die an unterschiedlichen Stellen gemachten Beobachtungen gesammelt werden. Da nur wenige Vögel wiedergefunden werden, ist es notwendig, eine möglichst große Anzahl zu beringen. Die Beobachtungen werden oft über mehrere Jahre hinweg gemacht und an eine zentrale Meldestelle (Vogelwarte) weitergegeben. Dort werden alle Daten gesammelt und von Ornithologen ausgewertet. Große Vogelzüge, die nachts unterwegs sind, werden auch mit Radar verfolgt.
Will man Genaueres über die Wanderbewegungen einzelner Vögel wissen, stattet man sie mit winzigen Sendern aus und erfasst die Signale per Telemetrie, also per Funkpeilung. Die Reichweite dieser weniger als ein Gramm schweren Minisender ist allerdings recht gering. Als weitaus effektiver hat sich die Satelliten-Telemetrie erwiesen: die Sender wiegen etwas unter 200 Gramm und können größeren Tieren wie etwa Weißstörchen wie Mini-Rucksäche umgeschnallt werden. Per Satellit können die Tiere mehrmals täglich auf etwa 150 Meter genau geortet werden. Damit lassen sich Zugrouten genau verfolgen. Was europäische Weißstörche angeht, so gibt es zwei Routen: die westliche führt über die Iberische Halbinsel und Gibraltar nach Westafrika, die östliche verläuft am Ostrand des Mittelmeeres über Griechenland, die Türkei und Israel nach Ostafrika.

Zugtrieb
Die Wanderstimmung macht sich bei Zugvögeln in einer Zugunruhe bemerkbar, die auch bei Käfigvögeln zu beobachten ist. Ausgelöst wird sie durch die Photoperiode (Änderung der Tageslänge und Lichtintensität) und durch Temperaturänderungen. Dabei wird durch ein Hypophysen-Hormon die Entwicklung der Keimdrüsen beeinflusst, Geschlechtshormone bringen das Tier in Wanderstimmung.
Die Richtungsorientierung während des Vogelzugs geschieht bei Tagziehern (z. B. Star) zum einen nach dem Sonnenstand, der mit Hilfe einer "inneren Uhr" mit der Tageszeit verrechnet werden muss. Die Orientierung nach Landmarken ist auszuschließen, da bestimmte Zugvögel lange Strecken über See fliegen. Die Orientierung nächtlich ziehender Vögel erfolgt entsprechend nach den Sternen. Zusätzlich wird von Tag- und Nachtziehern das Magnetfeld der Erde zur Richtungsorientierung genutzt. Ungeklärt ist bisher, wie die Zielorientierung erfolgt, mit deren Hilfe sich Zugvögel im folgenden Jahr wieder mehr oder weniger genau am gleichen Brutplatz einfinden.
Ob ein Weißstorch die Ostroute einschlägt oder aber nach Südwesten losfliegt, ist nicht zuletzt eine Frage der Familientradition: Jung- und Altvögel fliegen gemeinsam ins Winterquartier. Auch das Wissen um geeignete Rastplätze wird an die Jungen weitergegeben. Anders sieht es bei Kleinvögeln oder gar Kuckucken aus, die ganz ohne Anleitung ins Winterquartier finden müssen. Durch ausgiebige Versuche mit Mönchsgrasmücken in der Vogelwarte Radolfzell am Bodensee hat der Ornithologe Peter Berthold bewiesen, dass - zumindest bei diesen kleinen Singvögeln - sowohl die Zugrichtung als auch die Zugdauer angeboren, also genetisch festgelegt ist. Kreuzt man beispielsweise einen nach Südwest ziehenden mit einem nach Nordwest ziehenden Vogel, so wird der Nachwuchs schnurstracks nach Westen aufbrechen. Auf diese Weise kann sich innerhalb weniger Generationen die Ausrichtung einer ganzen Population verändern. Diese Erkenntnis revolutionierte die Evolutionsforschung, die bislang davon ausging, dass Veränderungen im Verhalten von Wirbeltieren einige Jahrtausende in Anspruch nehmen.

Zugstraßen und Zugrouten
Man nennt die Wege, die die Zugvögel fliegen, Flugrouten oder auch Zugstraßen. Zugvögel nehmen für ihre lange Reise nicht immer den kürzesten Weg. Oft machen sie einen Umweg von mehreren hundert Kilometern, um nicht das offene Meer oder ausgedehnte Wüsten überfliegen zu müssen. Die meisten Vögel, die von Europa nach Afrika und wieder zurück fliegen, überqueren das Mittelmeer an den schmalsten Stellen und meiden auch die Sahara, die sie nur im Westen streifen. Besonders die kleineren Vogelarten fliegen auch über Italien und von dort über das Mittelmeer.
Der Vogelzug bewegt sich über bestimmte Zugstraßen, die meist Hindernisse (Alpen, Sahara) umgehen. Man unterscheidet den Breitfront- (z. B. Singdrossel) und den Schmalfrontzug (z. B. Kranich, Storch), ferner Tag- und Nachtzug, den Vogelzug der einzeln Ziehenden (z. B. manche Greifvögel) und der Scharenwanderer (z. B. Stare, Kraniche). Die Höhe der ziehenden Vögel ist wetterabhängig (Wind, Wolken). Sie liegt meist unter 1000 m (über Grund), bei Kleinvögeln unter 100 m. Die Geschwindigkeit ist verschieden (z. B. Rauchschwalben 44-140 km/h, Stare 74 km/h, Schnepfen und Segler 90 km/h). Bei Störchen z. B. ist die Reisegeschwindigkeit auf dem Herbstzug (100 km/Tag) und dem Frühjahrszug (150 km/Tag) unterschiedlich. Singvögel legen durchschnittlich 60 km/Tag, Watvögel bis 500 km/Tag zurück. Ein Steinwälzer flog maximal 800 km täglich. Streckenmäßige Höchstleistungen vollbringen einige Regenpfeifer, die von Alaska nach Feuerland (rund 16 400 km) ziehen, sowie die Küstenseeschwalbe, die in der Arktis brütet und bis in die Antarktis zieht.

Die westliche Hauptroute führt von Deutschland über Frankreich, Spanien und die Straße von Gibraltar nach Nordafrika. Von dort aus fliegen einige Arten über die Sahara weiter in Richtung Westafrika, zum Beispiel in den Senegal. Das Überqueren der Sahara findet vor allem in den kühlen Nachtstunden statt. Mit Hilfe spezieller Radarsender fanden Forscher heraus, dass während der Hauptzugzeiten pro Nacht bis zu 200 Millionen Zugvögel über die Wüste fliegen. Einige Spezies ersparen sich diese Strapazen und bleiben während der kalten Jahreszeit in Nordafrika, also zum Beispiel in Marokko.
Neben der Westroute gibt es noch die östliche Strecke. Diese verläuft von Deutschland aus nach Südosten. Das breite Band, an dem die Vögel entlang fliegen, erstreckt sich hauptsächlich über Österreich, Ungarn, Slowenien, Kroatien, Jugoslawien, Rumänien, Bulgarien und Griechenland. Sobald die Zugvögel die europäische Türkei erreicht haben, überfliegen sie das Marmarameer;  am liebsten an besonders engen Stellen  und dann das türkische Festland. Sie wählen dabei meist eine Strecke, die sie in einem sanft geschwungenen Bogen über das Land und anschließend über das Mittelmeer östlich von Zypern führt.
Bald darauf treffen die Vögel in Syrien ein, wo sie sich wieder in südliche Richtung orientieren. Sie überfliegen den Libanon und schließlich Israel, einen weiteren extrem wichtigen Knotenpunkt des Vogelzugs. In Israel kann man während der Hauptzugzeiten genau wie in Gibraltar massenhaft Vögel beobachten. Alles, was unter den Zugvögeln Rang und Namen hat, rastet dort und tankt ein wenig Kraft für den Weiterflug nach Afrika. Vom Weißstorch bis hin zu Sing- und Greifvögeln ist im Heiligen Land alles vertreten. Nachdem die Zugvögel Israel verlassen haben, fliegen sie weiter nach Süden, bis sie den Sinai und das Rote Meer hinter sich gelassen haben. In Ägypten und im Sudan überqueren viele von ihnen die Sahara, einige wählen Äthiopien als Ziel und überwintern dort. Die meisten anderen Arten zieht es noch weiter in den Süden, sie überwintern beispielsweise in Kenia oder in den tropischen Regionen Zentralafrikas. So manche Art wie etwa die Rauchschwalbe fliegt jedoch noch weiter bis nach Tansania.
Eine dritte Flugstrecke führt vor allem Sing- und Greifvögel über Italien nach Malta und von dort aus nach Nordafrika sowie über die Sahara. Auch auf Zypern oder auf den Balearen finden sich in jedem Herbst gefiederte Gäste ein, die dort im Winter verweilen wollen. Nicht nur deutsche Urlauber verbringen die kalte Jahreszeit gern auf der mit einem relativ milden Winterklima gesegneten Insel Mallorca, viele Zugvögel halten sich dort unter anderem im Naturschutzgebiet S´Albufera auf.

Auch in Amerika ziehen zahlreiche Vögel im Winter aus dem kalten Norden in den warmen Süden. In Nordamerika gibt es vier große Flugrouten - eine entlang der Pazifikküste, eine entlang der Atlantikküste, eine den Mississippilauf hinunter und eine über Labrador entlang der südlichen Hudsonbai. Viele der zentralasiatischen Vögel überwintern in Afrika, andere haben ihre Winterquartiere in Südindien, auf Ceylon oder in Birma. Die Zugvögel der Fernen Ostens (Sibiriens, Japans und Nordchinas) ziehen gewöhnlich nach dem Malaiischen Archipel, nach Australien und sogar nach Madagaskar.

Orientierung und Entfernung
Auch Zugvögel, die in Gefangenschaft leben, werden unruhig, wenn die Zeit zum Abflug kommt. Das geschieht selbst dann, wenn sie ausreichend Futter erhalten und ihre Umgebungstemperatur nicht absinkt. Es ist also eine innere, angeborene Kraft, die die Vögel zum Aufbruch treibt. Noch weiß niemand genau, was den Instinkt zum Wandern auslöst (man weiß bislang nur, dass die Tageslänge von Bedeutung ist). Die innere Uhr mancher Vogelarten geht so erstaunlich genau, dass Abflug und Ankunft am Zielort Jahr für Jahr fast auf das gleiche Datum fallen!
Zugvögel finden nach einem Flug von Tausenden von Kilometern nicht nur zum gleichen Ort, sondern sogar zum gleichen Nest zurück, das sie im Vorjahr bewohnt haben. Wie schaffen sie das? Vögel, die am Tag ziehen, orientieren sich an der Sonne. Diejenigen, die nachts fliegen, orientieren sich an den Sternen. Auffällige Gebirge, Flüsse und Küstenverläufe können den Zugweg wie Hinweisschilder markieren.
Außerdem gibt es Beweise dafür, dass manche Vogelarten die Fähigkeit besitzen, das Magnetfeld der Erde wahrzunehmen (Vögel besitzen einen "eingebauten Kompass"). Sie können nämlich anhand der Feldlinien des Erdmagnetfeldes zwischen "polwärts" und "äquatorwärts" unterschieden und verfügen so über eine Nord-Süd-Achse zur Orientierung. Möglicherweise kommen noch weitere erstaunliche Navigationsleistungen hinzu, die wir noch gar nicht durchschauen.
Wandern die Vögel immer in Gruppen?
Es sieht so aus, als ob die Vögel gemeinsam wandern, wenn sie in der gleichen Richtung unterwegs sind, doch manchmal gehen sie auch allein auf die Reise. So überqueren beispielsweise Tausende von Störchen die Straße von Gibraltar und den Bosporus auf ihrem Weg von Europa nach Afrika. Sobald sie jedoch diesen Korridor überflogen haben, lösen sich die Gruppen auf, und jeder einzelne zieht allein seines Wegs.
Junge Tiere, die ihre erste Wanderung antreten, lernen von den älteren Tieren, die den Weg schon kennen. Die meisten ziehenden Singvögel fliegen jedoch alleine und haben in der Natur nur eine durchschnittliche Lebenserwartung von ein bis zwei Jahren. Darum kann man davon ausgehen, dass das grundsätzliche Wissen um die Zugstrecke angeboren sein muss. Tagsüber können sich die Vögel ja alle sehen und verlieren sich nicht. Fliegen die Zugvögel nachts, dann stoßen sie bestimmte Lockrufe aus, um miteinander in Kontakt zu bleiben.
Wildgänse und manche anderen Zugvögel fliegen nicht in einer ungeordneten Schar, sondern bilden am Himmel ein spitzes Dreieck. Der Leitvogel vorne hat es dabei natürlich am schwersten - darum wechseln sich die Vögel an der Spitze ab.
Unglaubliche Rekorde
Viele Stelzen und Pieper überfliegen die Sahara jährlich, ein großer Teil bewältigt die Strecke sogar ohne Pausen (nonstop) in zweieinhalb Tagen. Um das zu schaffen, legen sie vor dem Abflug eine dicke Fettschicht als Reiseproviant an. Dieses Fettpolster macht oft 50 Prozent ihres Körpergewichts aus.
In Westafrika wurde einmal eine Schafstelze gefangen, die sieben Jahre zuvor an der gleichen Stelle beringt wurde. Dieser kleine Vogel hat wahrscheinlich während seines Lebens die Sahara mindestens dreizehnmal überflogen!
Die Küstenseeschwalbe wandert von der Arktis zur Antarktis. So nutzt sie zuerst den Sommer der nördlichen und dann den Sommer der südlichen Halbkugel mit der Mitternachtssonne aus. Dadurch können die Vogelschwärme rund um die Uhr nach Fischen jagen.

Flugstrecken einiger Zugvögel(Zugweg in Kilometern)
Küstenseeschwalbe 20.000
Kranich 6.500
Graubruststrandläufer 20.000
Klappergrasmücke 6.000
Kurzschwanzsturmtaucher 17.500
Grönlandsteinschmätzer 5.000
Nordamerik. Goldregenpfeifer 15.000
Wachtel 5.000
Mornellregenpfeifer 12.000
Kiebitz 3.000
Storch 10.000
Singdrossel 2.600
Rauchschwalbe 10.000
Star 1.400
Kuckuck 9.500

Allein was die Zahlen angeht, ist der Vogelzug ein Phänomen der Superlative: Mehr als 50 Milliarden Vögel - die Hälfte der rund 10.000 heute lebenden Vogelarten - begeben sich jedes Jahr auf Wanderschaft. Während Gänse, Enten, Störche, Kraniche und Stare in großen Verbänden fliegen, sind die meisten Singvögel jedoch ganz allein unterwegs. Rekordhalter in Sachen Entfernung ist die Küstenseeschwalbe: ihre Brutgebiete liegen in der Arktis, ihre Winterquartiere in der Antarktis. Auf ihrem Flug von Pol zu Pol bewältigt sie Strecken von 15.000 bis 25.000 Kilometern. Ebenfalls beeindruckend sind die Nonstopflug-Fähigkeiten: 1.000 Kilometer legt der nur hummelgroße Rubinkehlkolibri beim Dauerflug über den Golf von Mexiko zurück. Die bei uns heimischen Kleinvögel fliegen auf ihrem Weg ins südliche Afrika 2.000 bis 3.000 Kilometer am Stück. Auf stolze 7.000 bis 10.000 Kilometer summiert sich die Leistung von in Nordsibirien brütenden Schnepfenvögeln, die in Tasmanien überwintern.

Wie weit ein Vogel fliegt, hängt nicht zuletzt von seiner bevorzugten Nahrung ab. So sind bei uns brütende Insektenfresser wie zum Beispiel Rauchschwalben meist Langstreckenzieher, die südlich der Sahara überwintern. Die meisten unserer Körnerfresser - etwa Buchfinken - dagegen sind Kurzstreckenzieher, die nur bis Südeuropa oder Nordafrika fliegen. Auch die bevorzugte Reisezeit hängt von der Nahrung ab: Insektenfresser sind meist nachts unterwegs, ebenso die Mehrzahl der Wat- und Wasservögel. Körnerfresser dagegen fliegen meist tagsüber, und zwar in großen Schwärmen. Warum das im Einzelnen so ist, wird noch erforscht. Fest steht: tagsüber fliegen all jene, die beim Fliegen die Thermik ausnutzen, also Greifvögel, Störche und Kraniche. Weil über dem offenen Meer kaum Aufwinde herrschen, werden Meere meist an Engpässen überquert. Gebirge werden entweder umflogen oder an niedrigen Pässen überwunden. Manche Zugvögel steigen dabei auf 8.000 bis 10.000 Meter Höhe empor, etwa beim Überqueren des Himalajas oder beim Ausnützen starker Windströmungen in Tiefdruckgebieten.

Teilzieher und Klimaerwärmung
Durch genetische Selektion lässt sich auch erklären, warum immer mehr Vögel den Winter hierzulande verbringen. Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang das Zugverhalten von so genannten Teilziehern wie etwa Amseln. Teilzug bedeutet: Ein Teil der Vögel zieht weg, um den Winter in wärmeren Gefilden zu verbringen, während der Rest an Ort und Stelle bleibt. Im Zuge der Klimaerwärmung jedoch überwintern immer mehr Amseln hierzulande. Kehren die ziehenden Artgenossen im Frühjahr aus dem Süden zurück, sind die besten Reviere schon besetzt. Die Folge: sesshafte Amseln vermehren sich weitaus erfolgreicher, und schon nach wenigen Generationen hat sich die teilziehende Amselpopulation in eine sesshafte verwandelt. Denn ob ein Vogel wegzieht oder bleibt, ist eine Frage der Veranlagung. Inzwischen geht man davon aus, dass der Teilzug die am weitesten verbreitete Lebensform bei Vögeln darstellt. In Europa zum Beispiel sind von den etwa 400 vorkommenden Vogelarten aktuell ungefähr 70 Prozent Teilzieher, die anderen 30 Prozent überwiegend Zugvögel.

Risiken und Gefahren
Nun könnte man meinen, Zugvögel seien besonders großen Gefahren ausgesetzt. Freilich ist es riskant, bei Wind und Wetter weite Strecken zurückzulegen und dabei Länder zu überqueren, in denen Jagd auf Vögel gemacht wird. Weitaus problematischer ist jedoch die Zerstörung von geeigneten Rastplätzen entlang der Wanderrouten sowie von Brut- und Ruhegebieten an den jeweiligen Zielorten durch Landwirtschaft und Zersiedelung. Setzt man die Anzahl der gelegten Eier mit der Anzahl der überlebenden Vögel in Beziehung, so zeigt sich: Standvögel leben mindestens so gefährlich wie Zugvögel. Der Grund: ein harter Winter kann den ganzen Bestand gefährden. In milden Zeiten dagegen gewinnen die sesshaften Artgenossen die Oberhand. Der Treibhauseffekt könnte also bewirken, dass immer mehr unserer Zugvogelarten zu Standvögeln werden. Selbst so genannte Exoten könnten hierzulande heimisch werden. Seit Jahren schon haben entflohene Papageien ganzjährig gute Überlebenschancen und an Orten wie Wiesbaden und Heidelberg bereits Kolonien gebildet.